Weiblich, ledig z'alp - sucht nicht! Oder: wie das so ist, als Frau allein auf der Alp

Ist das nicht erstaunlich?

„Hast du keine Angst? Vor dem Wolf? Nein, vor dem Wolf nicht, aber...“

Alleine auf der Alp als Frau. Das Alleinsein ist Thema, bei mir, und regelmäßig auch bei den Menschen, die hier vorbei kommen. Das Alleisein als Frau erst recht.

Ich werde so häufig gefragt, ob ich keine Angt hätte...

Angst vor dem Wolf - nicht wirklich.

vor Steinschlägen... nicht so sehr.

vor Gewitter... ein bisschen.

vor der Begegnung mit mir selbst.. kein Problem.

vorm Alleinsein überhaupt? überhaupt nicht.

 

Und doch gibt es etwas, das mir Angst macht. Und ich verbiete mir meistens, da überhaupt hinzudeken. Jetzt wage ich mich einmal meine Gehirnwindungen da hinzulenken. Ich traue mich kaum, laut zu denken, geschweige denn, es zu schreiben, aus einer Art Sorge, ich könnte es durch den Gedanken allein schon provozieren.

Das ist doch erstaunlich, oder?

Also: Es könnte ja tatsächlich sein, einer kommt hier hoch, der weiss, dass ich allein bin - und.... ...hier hört mich kein Schwein... So richtig Angst macht mir das nicht. Gut, ich habe meinen Hund.Und es fühlt sich unrealistisch an.

Unrealistisch?

Naja... jede fünfte Frau... aber dazu später...

 

Auf der anderen Seite, das „Thema“ ist Thema. Nicht nur bei mir. Ich bin hier vielen Sprüchen ausgesetzt... Ich möchte euch an meiner Realität und meinen Gedanken dazu teilhaben lassen.

Nicht zum Anklagen, sondern eher zum Staunen...

Nicht um Opferbewusstsein zu manifestieren, sondern um Horizonte und Blickwinkel zu öffnen... ...

zum Beispiel (zur Erklärung, Ich hatte in den ersten Wochen eine zahme Dohle bei mir): Berichtete ich, dass die auf meiner Schulter schlief, kam regelmäßig der Spruch (von Männern only:) „haha, das tät ich ja auch mal gerne, auf deiner Schulter schlafen.“

???... welche Bilder auch immer da wachgerufen wurden...???

Oder folgender Witz (mehrfach vernommen) Starb die Vogelwärterin. Auf ihrer Beerdigung hielt ein enger Freund eine Rede, in der er sagte: „Sie war immer gut zu Vögeln.“

Ich muss dann erst einen Moment nachdenken, bis ich die Doppeldeutigkeit verstehe. Wahrscheinlich, weil das hier für mich ein Arbeitsplatz ist - und meine Sexualität damit nichts zu tun hat. Die anderen Gäste scheinen das anders zu sehen. Sie lachen sofort schallend.

Ganz typisch auch, dass ich darauf hingewiesen werde, wer von den Anwesenden noch „zu haben“ ist.

Kombiniere: Frau alleine auf der Alp, also braucht sie einen Mann.

Besonderen Spass macht es Männern scheinbar auch, danach zu fragen, wie ich mich wasche (es gibt ja kaum Wasser), und sich dann ihre Vorstellungen dazu zu machen. Natürlich zu meiner Nacktheit. „Na, da käme ich ja gern mal zufällig um die Ecke.“

Kleine „harmlose“ Anekdoten aus meinem Alltag als Sennerin auf einer kleinen, alleingeführten Alp...

Jetzt würden vielleicht viele sagen, diese Sprüche sind doch normal.

Ja, das sind sie. So sehr haben wir uns daran gewöhnt. Aber ist das normal? Was bitte hat meine Körperlichkeit, meine Sexualität, mein Beziehungsstatus mit meiner Arbeit hier zu tun? Klar sind das bloss Faxen. Die meisten dieser Typen würden mir nichts antun. Aber diese Faxen zeigen, wie nah in den Gehirnwindungen dieser Faxen machenden Männer eine Frau mit Körperlichkeit und Sexualität verbunden ist - wurschtegal, was sie macht,wo sie ist, und in welchem Kontext die Begegnung stattfindet.

Das ist doch erstaunlich, oder?

Das würde einem Mann nicht passieren. Da wären andere Themen präsent.

Ich habe schon überlegt, beim nächsten zu sagen. „Ey, weisst du, das macht mir Angst, wenn du so was sagst. Wenn ich mir vorstelle, du meinst den Spruch ernst, dann bin ich hier oben alleine nicht gut aufgehoben...“ Wäre spannend wie die Reaktion darauf wäre.

Aber: ich traue mich das nicht zu sagen. Warum? Weil ich Sorge habe, das könne den Gedanken erst wecken, oder jemand könnte das als Aufforderung verstehen, oder es kämen noch blödere Sprüche, die noch tiefer unter die Gürtellinie gehen, oder, ich möchte niemanden vor den Kopf stoßen.

Erstaunlich, oder? Warum eigentlich mache ich mir Gedanken, ob ich jemanden vor den Kopf stoße, wenn ich ihn auf einen blöden Spruch hinweise?

Das ist meine Realität - unsere. Die der Frauen. Wir sind es gewohnt, in jeglichen Situationen mit Körperlichkeit und Sexualität konfrontiert zu werden. Abgesehen davon, dass mindestens jede fünfte Frau in ihrem Leben sexuelle Gewalt erfahren hat, werden wir ständig ungefragt mit der Tatsache konfrontiert, dass Männer den Anblick einer Frau, egal ob im Baumann, Jeans, hinter der Sennereischürze oder im Kleid, mit Sexualität assoziieren, auf die sie, scheinbar, Lust hätten.

Erstaunlich, oder?

 

Ich möchte trotzdem gerne so leben und so sein können. Allein auf der Alp! Aber bitte ohne Angst, ohne die ständige Konfrontation mit einer Sexualität, ohne, wenn ich einen Käse verkaufe, damit konfrontiert zu werden, dass mein Gegenüber meinen Körper unter der Schürze im Hirn hat, und am besten noch, was er gerne mit dem anstellen würde...

Hängt das mit mir und meiner Geschichte zusammen, dass mir das so aufstößt? Oder ist das die Realität aller Frauen.

Wie viele Frauen würden eben nicht alleine eine Alp bewirtschaften,aus eben dieser Angst, dass Ihnen etwas passieren könnte?

Ob nun solche Sprüche übergriffig sind oder nicht, darüber lässt sich diskutieren. Es tut auch gerade nichts zur Sache. Mir ist in der Auseinandersetzung vor allem bewusst geworden, wie unterschiedlich die Lebensrealität für Männer und Frauen ist in Bezug auf die Selbstverständlichkeit mit der sie ungefragt mit Sexualität und Körperlichkeit konfrontiert und assoziiert werden. Mir ist bewusst geworden, wie Sexualität das Leben von Frauen beeinflusst - ungefragt.

Ich kriege das hier um die Ohren geschleudert. Warum eigentlich? Ich mache hier Käse! Ich hüte die Ziegen. Mein Körper tut da nichts zur Sache. Einem Mann passiert das nicht oder äusserst selten. Und das nehmen wir so oft so hin.

Was bleibt uns auch übrig? Ganz oft ist einem nicht einmal mehr bewusst, wie sehr das überhaupt nicht an die Tagesordnung gehört. Nur, weil ich Frau bin, bekomme ich Sprüche ab, die irgend etwas mit Sexualität zu tun haben. Ungefragt, ob ich will oder nicht.

Ich EMPFINDE das als übergriffig. Ich möchte das nicht.

Es ist gar nicht so, dass mich das grad fuchsteufelswütend macht, (obwohl es das sollte). Ich staune! Ich bin baff, wenn ich da ersthaft drüber nachdenke. Und ich glaube, viele denken da eben nicht drüber nach.

Klar, ich setze mich hier einer ländlichen Kultur aus. Aber, hej, Leute, in welchem Zeitalter leben wir denn?

Und ausserdem, einem Mann würde das so nicht passieren. Punkt. Da brauchen wir gar nicht weiter zu reden.

Wieso ist das so, dass Männer und Frauen, jetzt mal nur in diesem Hinblick, so unterschiedlich behandelt werden. Wir sind Menschen, alle ohne unser Zutun geboren, per Zufall in den einen oder anderen Körper. Warum bilden sich die einen ein, aufgrund von unterschiedlichen Merkmalen ein, sich über die anderen zu stellen?

Das ist doch eigentlcih erstaunlich, oder?

Mir ist es sehr bewusst, dass hier geguckt wird, wie ich aussehe, wie ich angezogen bin, wann ich einen BH trage, oder vielleicht auch nicht. Warum? Oder: warum bei mir, und nicht bei 'nem Typen? Oder schaut ihr immer auf die Ausbeulung in der Hose, und redet darüber, ob der wohl nen Slip oder ne Boxershort trägt und wie gross sein Gemächt zu sein scheint?

Das sind so unterschiedliche Lebensrealitäten. Jede fünfte Frau hat sexuelle Gewalt erfahren. Und jede Frau wird in unterschiedlichsten Situationen im Alltag damit konfrontiert.

 

Ja, und gleichzeitig bin ich froh und stolz, dass ich hier oben diese Alp alleine mache. Dass mich die Angst nicht davon abhält. Dass ich das Risiko in Kauf nehme, um meine Träume zu leben. Dass ich gelernt habe, wegzuhören, es nicht so ernst zu nehmen, mich nicht aufzuregen - oder Grenzen zu ziehen, wenns zu viel wird - aber natürlich so, dass niemand das Gesicht verliert...

ist doch erstaunlich, oder?

 

Wünschen tue ich mir das anders: Ich wünsche mir, überhaupt keine Angst haben zu brauchen. Ich wünsche mir, nicht darüber nachdenken zu müssen, ob das Risiko zu hoch ist. Ich wünsche mir, überhaupt nicht auch nur in die Nähe des Gedanken denken zu müssen, ich provoziere schon fast etwas dadurch, dass ich alleine hier bin.

Aber das bleibt wohl noch etwas länger Wunschtraum. Und solange das soweit von unserer Realität entfernt ist, wie der Mars von der Venus, nehme ich es mir als Aufgabe, zum Denken anzuregen, Aufmerksamkeit auf das Erstaunliche an dem scheinbar Selbstverständlichen zu lenken.

Lasst uns das nicht mehr hinnehmen! Und erst recht nicht unbewusst mitmachen. Auch, wenn ihr das alles gar nicht so ernst meint.

 

Vorgestern kam hier einer an und schmetterte mir entgegen: „So, das ist also die fesche Sennerin.“ Ich so: „Sennerin ja. Ob fesch oder nicht, dass tut hier nichts zur Sache. Was wollt ihr trinken?“ Er so kleinlaut : „Ein Bier, falls man das noch sagen darf...“ Und ich? Ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn zu unhöflich war....

ÖIst das nicht erstaunlich?      

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Kommentare: 2
  • #1

    Lisa (Samstag, 01 August 2020 21:31)

    Deine Worte sind so wahr wie traurig �

  • #2

    Thomas (Samstag, 06 Februar 2021 07:37)

    Ich wünsch(t)e, dass Deine Gedanke mehr gelesen, geteilt und vor allem begriffen werden.

    Und bitte bitte - geniesse Deine Alpzeit weiter und jedes Jahr aufs Neue.